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Channel: Annemarie Lüning | Beliebte Vornamen
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Mein seltener Name und ich: Gesine

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Mein seltener Name und ich

Ob Gwendolin oder Wynona, Marbod oder Gode: In den neun Jahren, die ich mittlerweile über Menschen mit seltenen Namen schreibe, ist eines noch nie vorgekommen: dass ich mich frage, ob ein Name wohl „selten genug“ für diese Reihe ist. Bei Gesine bescherte mir genau das ein Aha-Erlebnis.

Dass es sich um keinen der Massennamen meiner Generation handelt, so wie Sabine oder Katrin, wusste ich natürlich. Ich musste neun Jahre alt werden, bis ich erstmals auf eine Gesine traf. Weil ich sowohl das Mädchen als auch den Namen toll fand, kann ich mich an die Begegnung gut erinnern. Mein Mann ging im Raum Bremerhaven mit mindestens einer Gesine zur Schule; durch ihn habe ich auch aufgeschnappt, dass die Schwester seiner Lieblingsschauspielerin ebenfalls so heißt. (Sandra und Gesine Bullock, Jahrgang 1964 und 1970, sind Töchter einer deutschen Opernsängerin.) Außerdem gibt es da noch Politikerinnen: Gesine Schwan, die in den nuller Jahren zweimal für das Amt der Bundespräsidentin kandidierte, und Gesine Lötzsch, die man manchmal in den Nachrichten sieht.

Typische Erfahrungen mit seltenen Namen

Meine Interviewpartnerin Gesine, 1997 im Harz geboren, bewies mir aber, dass man auch mit einem Namen, den ich als vergleichsweise geläufig empfinde, die typischen Erfahrungen von Menschen mit seltenen Namen machen kann. Dazu müssen nur zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens – die Eltern haben sich aus dem Namensvorrat einer ganz anderen Region bedient. Gesine ist eine friesische Variante von Gertrud. Und zweitens – die Wahl entspricht so gar nicht dem im Jahrgang des Kindes gängigen Schema. Anna, Sarah, Laura: diese Namen kamen 1997 bei Babyeltern besonders gut an. Der erste Mädchenname, der nicht auf einen a-Laut endet, findet sich auf Platz 10 (Michelle), kein einziger Top-35-Name beginnt mit G. „Wenn mir Leute erzählen, dass sie jemanden mit meinem Namen kennen – was in meinem Leben vielleicht fünfmal vorgekommen ist –, ist die Person mindestens zwanzig Jahre älter als ich“, erzählt Gesine.

Sie wuchs im Raum Paderborn-Bielefeld auf und lebt heute in Mittelhessen. Daran, dass ihre Eltern auf den auch in der Geschwisterreihe (Marlene, Johannes und David) überraschenden Namen verfielen, ist eine Autofahrt durch Hildesheim schuld: „Mein Vater hörte dabei einen regionalen Radiosender, bei dem eine Moderatorin Gesine hieß.“ Die finale Entscheidung fiel nach der Geburt: „Da haben sie sich gefragt: Sieht sie aus wie eine Imke oder wie eine Gesine?“ Auch Imke stammt aus dem Friesischen, als Ableitung von Irmgard, und wäre 1997 ebenfalls „aus der Zeit gefallen“. „So sehr ich mich mit meinem Namen manchmal auch schwertue, bin ich froh, dass es nicht Imke geworden ist“, sagt Gesine.

Ein Alleinstellungsmerkmal

Ihre Beziehung zu ihrem Namen ist zwiespältig. Dass er ein gewisses Alleinstellungsmerkmal ist, gefällt ihr schon ganz gut. „Ich konnte ihn immer allein prägen und besetzen und musste ihn nie teilen.“ Außerdem mag sie es, quasi Namensschwester ihrer Tante Gertrud zu sein, auch wenn ihren Eltern das bei der Vergabe nicht bewusst war: „Ich habe sie sehr bewundert.“ An der Bedeutung, „starke Speerwerferin“, hat sie nichts auszusetzen, die „völlig eindeutige“ Schreibweise und Aussprache zählt sie als weitere Pluspunkte auf. „Ich werde zwar regelmäßig gefragt, wie man den Namen schreibt, es hat aber noch nie jemand Schreibfehler eingebaut. Ich antworte dann, ‚Wie man‘s spricht‘, und damit hat sich das.“ Bei ehrlichem Interesse des Gegenübers sei ihr Name auch mal „ein nettes Smalltalk-Thema“.

Aber dann: „Ich mochte nie, dass das Kennenlernen von neuen Leuten mit Irritation und Befremdung startet. Mein Name ist oft eine Hürde, die genommen werden muss.“ Im Lauf der Jahre hat Gesine „einen eingebauten Nord-Süd-Radar“ entwickelt: „Stelle ich mich vor und es kommt gar keine Reaktion, weiß ich: Aha, sehr norddeutsches Gegenüber. Je mehr Verwirrung, desto südlicher die Herkunft. Die Bayern reagieren am heftigsten: ‚Ist das überhaupt ein Name?‘“ Auch „… habe ich ja noch nie gehört …“, „Wer kommt auf so was?“, „Haben sich deine Eltern den Namen ausgedacht oder gibt‘s den wirklich?“ hört sie öfter. „Wenn ich dann kontere mit ‚Du bist aus Bayern, oder?‘, sind meine Gesprächspartner sehr erstaunt.“ Witzig findet sie ein Missverständnis bei Kindern: „Die dachten schon früher manchmal, dass ich ‚Cousine‘ heiße. Kinder, mit denen ich nicht verwandt bin, haben mich bei ihren Cousinen mit aufgelistet.“

Manchmal anstrengend

Aufzufallen kann man mögen, muss es aber nicht: „Mich strengt das manchmal an. Ich habe nämlich nicht nur meist den seltensten Namen, sondern auch noch ein außergewöhnliches Rot als Haarfarbe. Ich hätte gerne die Chance, auch mal in der Masse unterzugehen.“ Trotzdem gab es eine Zeit, in der Gesine – ebenfalls nicht gerade unauffällig, aber stimmig zur Haarfarbe – gern Zora geheißen hätte. Oder vielleicht Ronja nach „Ronja Räubertochter“, was in ihrer Generation sehr viel „normaler“ gewesen wäre. Aufgrund ihres Wunsches nach einem unkomplizierteren Namen entschied sie sich bei ihrer Heirat gegen den spanischen Nachnamen ihres Mannes. Ihr Mann zog mit und war dann ziemlich überrascht, „wie einfach das Leben mit einem unkomplizierten Nachnamen ist.“

Einen festen Spitznamen hat Gesine nicht. „Gesi und Sina wurden von einzelnen Personen für einige Zeit genutzt, konnten sich aber nicht etablieren.“ Im englischsprachigen Umfeld nennt sie sich mittlerweile Jessy. „Das hat sich ergeben, als ich für ein knappes Jahr in Südostasien gewohnt habe. Die Menschen dort hatten riesige Probleme, meinen Namen auch nur nachzusprechen, geschweige denn ihn sich zu merken. Vor allem das -ne ging gar nicht. Für einige war ich dann Gesina, bis wir auf eine englisch ausgesprochene Gesi gekommen sind, der Einfachheit halber Jessy geschrieben.“

Der eigene Nachwuchs

Ihrem eigenen Nachwuchs möchte Gesine unbedingt Namen aus den Top 500 geben: „Selbst wenn ich einen viel selteneren Namen superschön fände, ist es mir wichtiger, dass mein Kind mit einem praxistauglichen Namen durchs Leben geht, als dass ich mich in seinem Namen selbst verwirkliche. Außerdem möchte ich Namen aussuchen, die entweder von vornherein international tauglich sind oder die sich verhältnismäßig leicht entsprechend abwandeln lassen. Ich hoffe, dass sich meine Kinder dann gerne mit ihrem Namen vorstellen und nicht bei jeder Vorstellung innerlich schon seufzen, weil sie keine Lust haben, schon wieder *dieses* Gespräch zu führen.“

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