„Die ganze Familie ist versammelt … aber niemand hat Tante Mildred eingeladen.“
(„Du lügst!“, MB-Spiele, 1981)
Auch Namen, die vermeintlich niemand auf dem Zettel hat, tauchen manchmal ganz unvermittelt auf Lieblingsnamenslisten im Netz auf. So geschehen neulich mit Mildred. Klar, dass ich so was spannend finde.
Weiter als Mildred könnte kaum ein Name von aktuellen Mädchennamenstrends entfernt sein – ohne die a-Endung und mit gefühlt überdurchschnittlich vielen Konsonanten, was ihm eine herbe Note verleiht. „Immerhin“ (?!) ist es ein englischer Name, was mir bisher nicht bewusst war. Ich hatte Mildred in eine Ecke mit Ingrid, Irmgard, Gerlind und Co. gepackt, althochdeutschen Namen, wozu Mildred aber nur durch den Umweg über Miltraud (nie gehört) passt.
Meine erste Assoziation zu Mildred ist ein Kartenablegespiel, das ich in den 80ern gern gespielt habe. Auf den Karten ist eine Bilderbuchfamilie zu sehen: Opa, Oma, Papa, Mama, Bruder, Schwester, ein rosiges Baby unbekannten Geschlechts – und Tante Mildred. Als einziges Familienmitglied mit Namen fungiert Tantchen als der Schwarze Peter. Wer es nicht schafft, Mildred loszuwerden, verliert das Spiel. Kein Wunder, dass sie so miesepetrig dreinschaut, mit ihrem Pagenkopf und Marionettenfalten Kanzlerinnen-Karikaturen nicht unähnlich. Wobei sie mich um Nase und Brille herum eher an einen Herren von der AfD erinnert. Mindestens genauso schlecht gelaunt wie die Tante scheint ihr Hündchen, das sie mit ihren mit roten Nägeln bewehrten Fingern hält.
Mildred für ein Baby – geht das klar?! Das Kartenspiel kennt sicher kaum jemand mehr, eher schon die 1985 verstorbene Bundespräsidentengattin Mildred Scheel (Ärztin, Deutsche Krebshilfe, tiefe Stimme), die ihren Vornamen möglicherweise ihrer US-amerikanischen Mutter verdankte. Meine Tochter hat außerdem eine Zeitlang gern „Eine lausige Hexe“ gesehen, eine an Harry Potter erinnernde britische Kinderserie, deren junge Heldin Mildred Hoppelt heißt und die natürlich ein viel netteres Namensvorbild wäre als die ungeliebte ältliche Tante.
Ja, beim mehrmaligen Hören gefällt mir der Name Mildred immer besser. In die Kategorie „Mutige Wahl“ fiele er natürlich – mancher dürfte auch meinen, in die Kategorie „Armes Kind“. Kann man sich einen solchen Namen in einem bestimmten Umfeld (z.B. Berlin) eher leisten als anderswo? Könnte es einer kleinen Mildred so ergehen wie einer Heidrun (mein Alter), die ich mal kennengelernt habe und die sich statt mit ihrem ungeliebten Namen immer Heidi rufen ließ? Millie ginge bestimmt. Mir ist Milli/Milly/Millie (?) sogar schon mal als eingetragener Erstname begegnet, bei der kleinen Tochter meiner Frisörin.