Namen sind wie Kleidungsstücke mit Elasthan: ziemlich elastisch. Man wächst rein, liebt sie vielleicht nicht, aber nimmt sie an. One size fits all?! Dass so selten was kneift oder schlackert, liegt natürlich auch daran, dass die Mehrzahl der Eltern nicht allzu risikofreudig ist: Noch heute bekommt jedes zweite in Deutschland geborene Kind einen Namen aus den Top-60. Erweitert man auf die Top-500, sind über 80 Prozent aller Kinder abgedeckt. Trotzdem gibt es Fälle, wo es gehörig in den Nähten kracht. Bei meiner heutigen Interviewpartnerin war das so. In ihrem Geburtsjahr 1975 endete der Vietnamkrieg, Freddy Mercury schrieb „Bohemian Rhapsody“ und das erste Yps-Heft lag an den Kiosken. Ihre Eltern suchten für sie damals einen ganz besonderen Namen aus: Zuleyka. Wenn das kein Hingucker ist!
Ich denke bei dieser Variante der arabischen Suleika („Verführerin“) an Räucherstäbchen und das wallende Indienkleid mit Glöckchen, das ich von einer Cousine geerbt habe. An 1001 Nacht und die schöne Scheherazade. Allerdings auch an lebenslanges Buchstabieren. Ob Suleika zu simpel war oder es ein Name mit dem seltenen Anfangsbuchstaben Z sein sollte? Vielleicht hängt die Schreibweise auch mit der Herkunft der Eltern – sie sind Engländer – zusammen. Jedenfalls gibt es noch andere Zuleykas. Google wirft als erstes die Miss Universe von 2006 aus, eine Puerto Ricanerin.

Räucherstäbchen © pepscostudio – fotolia.com
Zuleyka wuchs in Bremen auf, ihre Schwester erhielt den überraschend normalen Namen Janine. Anders als die meisten Menschen mit seltenen Namen, die ich befragen konnte, kam Zuleyka als Kind gut zurecht. Sie nannte sich selbst zuerst Zuly („Suli“). „Ich mochte die mit einem ungewöhnlichen Namen verbundene Aufmerksamkeit.“ Außerdem lebte die Familie in einem Multikulti-Viertel, in dem der Name gar nicht mal so auffällig war. Je älter sie wurde, desto mehr störte Zuleyka ihr Name: „Ich mag den Klang nicht. Zum Nachnamen passte er auch nicht. Dazu erwartet man bei dem Namen einen anderen Typ – ich bin blond und habe Sommersprossen – und einen anderen kulturellen Hintergrund. Den Namen Sally zum Beispiel fände ich auch doof, aber er ließe sich wegen der Herkunft meiner Eltern wenigstens erklären.“
Ja, und ihr Name wurde ständig falsch geschrieben oder falsch gesprochen, klar. Zuleyka verleugnete ihn deshalb manchmal und stellte sich anders vor, „bei flüchtigen Bekanntschaften, in der Disco und so“. Im Studium blieb der Spitzname Zu („Tsu“) an ihr hängen, der ihr nicht gefiel. Irgendwann war sie sich sicher: Ich brauche einen neuen Namen. Sie weihte nur wenige Menschen in ihre Überlegungen ein, „den engsten Kreis – aber auch meine Frisörin“. 2008, nach ihrer Hochzeit, die ihr einen eindeutig deutschen Nachnamen bescherte, war es so weit: Sie suchte sich einen neuen Rufnamen aus und degradierte Zuleyka zum stummen Zweitnamen. Die Wahl fiel auf Sonja.
Ein solider 70er-Jahre-Name, würde ich mal sagen. Allein in meiner Kindergartengruppe fallen mir Sonja G., Sonja H. und Sonja P. ein. 1975 stand Sonja auf Platz 15 der deutschen Charts. Für mich hat der Name (zuletzt immerhin noch auf Platz 304) etwas Sonniges und Lebensbejahendes, ich würde ihn gerne Eltern ans Herz legen, die sich für Sunny (331) oder Summer (411) entscheiden – tja … Dass Sonja russisch ist, wusste ich vor meiner Recherche, nicht aber, dass sich um eine Koseform der heute so beliebten Sophia („Weisheit“) handelt.
Sich einen neuen Namen zuzulegen ist nach Sonjas Bericht verblüffend unkompliziert. Etwa 250 Euro kostete das Ganze, plus Gebühren für neue Papiere. Dazu musste sie schriftlich nachvollziehbare Gründe darlegen, die gegen den alten Namen sprachen und die nicht auf den neuen zutreffen durften: „Fatma oder Charlene wären nicht gegangen.“ Im beruflichen Umfeld und bei Behörden klappte die Umstellung reibungslos. Privat gab und gibt es Menschen, die noch den alten Namen nutzen, weil sie es viele Jahre so gewohnt waren. Wer Sonja heute kennenlernt, erfährt meist gar nichts von ihrer Namensgeschichte: „Ich erkläre mich nicht gerne.“ Hat sie den Wechsel je bereut? „Eigentlich nur, wenn Menschen aufeinandertreffen, die mich unterschiedlich ansprechen. Das sorgt jedes Mal für Verwirrung.“
Rebellisch oder angepasst, verspielt oder pragmatisch, verführerisch oder weise: eine Sonja kann alles sein. Durch die Namensänderung ist Sonja bei sich angekommen. „Die Menschen gehen anders auf mich zu als früher. Man kann schon sagen, dass ich mit dem neuen Namen auch ein anderer Mensch geworden bin.“ Sonja hat zwei Söhne, die – das dürfte niemanden mehr wundern – rundum normal und schön Moritz und Luis heißen.